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Nach langem Zögern habe ich mich entschlossen, eine Website über meine Filme zu machen in der Meinung, dass man die Dinge, die einen betreffen, lieber selber schreibt als es andern zu überlassen. Schliesslich weiss man selber am besten, was man versucht hat in all den Jahren, was dabei so alles passiert ist und worüber man zwei, drei Dinge sagen möchte.

 

Auch finde ich es in meinem Alter langsam interessant, den „roten Faden“ aufzuzeigen, der durch diese Unternehmung geht, das heisst, welches die „zwei, drei Themen und die sieben, acht Variationen“ sind, die ein Lebenswerk bestimmen.

 

Als Sohn eines in Zürich geborenen italienischen Bauarbeiters bin ich immer wieder überrascht, geradezu ungläubig, mit einem Gefühl von Irrealität verbunden, dass es mir gelungen ist, zwischen 1970 und 2014 35 Filme zu drehen. Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich alle diese Filme wie in einer Art Traum gemacht oder als Somnambuler, der nachts aufsteht, einen Film dreht und dann wieder schlafen geht.

 

Dies verdanke ich meiner Ausdauer und einer klaren Vision dessen, was ich meiner Meinung nach zu tun hatte in dieser Welt, dem nach und nach zusammengetragenen Selbstwertgefühl sowie der Liebe, der Generosität und dem Vertrauen meiner zwei ehemaligen Lebensgefährtinnen, meiner zwei Töchter in Paris, meiner Tochter in Zürich und meiner Schwester.

 

Und dann vor allem der Tatsache, dass ich 1966 als 22-Jähriger nach Paris ausgewandert bin, um an der französischen Cinémathèque Filme anzuschauen und zwei Jahre später auch noch gleich in die 68er-Ereignisse hineingefallen bin, die ich als Zuschauer, Mitläufer und Sympathisant erlebte und die mich für das ganze Leben geprägt haben, was in meinen Filmen auch zu sehen und zu spüren ist.

 

In der Cinémathèque, wo man praktisch nur Spielfilme sah, habe ich begriffen, was Kino ist, hauptsächlich bei den französischen und amerikanischen Klassikern, wo es um die Schönheit geht, die Poesie, die Sprache, die Erinnerung, die Fiktion und die Politik. Das heisst, ich habe die Filmgeschichte auch als Geschichts-Unterricht verstanden, wo es in letzter Instanz immer wieder um Gerechtigkeit geht, um die Freiheit des Einzelnen und der Völker und um die Emanzipation der Frau.

 

Dann die Tatsache, dass die bürgerliche Schweiz in all diesen Jahren fast alle meine Filme mitfinanziert hat, auch die politischen, was wahrscheinlich in keinem anderen Land der Welt möglich gewesen wäre. Dafür bin ich natürlich dankbar und, wie gesagt, auch immer wieder überrascht und irgendwie ungläubig.

 

Ich denke überhaupt, dass der Neue Schweizer Film, den meine Generation gegründet hat, eigentlich ein „Wunder“ ist, nämlich dass in einem so kleinen und doch ziemlich geschichtslosen Land in all diesen Jahrzehnten so viele grossartige Filme gemacht wurden und dass wir heute drei Generationen sind (angenommen, es gibt meine noch), die Filme machen und dass diese Generationen fast nahtlos ineinander übergegangen sind.

 

Das Problem, das wir seit einiger Zeit haben, ist deshalb paradoxerweise die quasi „zu grosse Anzahl von Talenten“ im Schweizer Film, was zuerst eben ein „Wunder“ ist, dabei aber auch eine Art von Belastung für das „System“, indem das vorhandene Geld natürlich bei weitem nicht reicht, um all diese Talente und ihre Projekte zu fördern und zu finanzieren.

 

Was mich betrifft, empfinde ich den Schweizer Film als meine eigentliche, meine wahre und einzige Heimat, ich fühle mich in ihm zu Hause, unter meinesgleichen.

 

Der Schweizer Film ist die wichtigste kollektive Kulturleistung in diesem Land. Dafür sollten wir den Politikern und Politikerinnen gegenüber dankbar sein, die in all diesen Jahren, national und lokal, für die Filmkredite gestimmt haben; dann vor allem auch dem Schweizer Fernsehen, einer Anzahl von Stiftungen und einigen wenigen privaten Mäzenen.

 

Aber nicht nur wir Filmschaffende sollten dankbar sein, auch die Gesellschaft selber. Wir brauchen die Schweiz, aber die Schweiz braucht auch uns, denn ohne uns wäre dieses Land kulturell und politisch sehr viel ärmer, sehr viel langweiliger und meiner Meinung nach auch sehr viel weniger sympathisch.

 

Es ist in letzter Zeit wieder viel von „Identität“ die Rede. Dazu ist festzustellen, dass die Identität eines Volkes mit seiner Kultur zusammenhängt und diese mit der Identität.

 

Es sind wir Kulturschaffende, wir Filmemacher und Filmemacherinnen, wir Schriftsteller und Schriftstellerinnen, wir Maler und Malerinnen etc., die die schweizerische Identität herstellen und sonst niemand. Man kann die „Identität“ nicht am 1. August irgendwo in einer Festhalle herbeireden, man muss sie immer wieder von neuem gründen und legitimieren, und das geschieht meiner Meinung nach hauptsächlich mit Kultur.

 

Ich habe einige meiner Filme in fremden Ländern gedreht und werde das auch noch in den nächsten, meinen letzten Jahren tun, weil sich die Schweiz erschöpft im Laufe der Zeit. Man kann nicht im immer gleichen, kleinen, oftmals auch kleinkarierten Land 60 Jahre lang Filme drehen, immer wieder neue Themen, neue Menschen und neue Landschaften finden, mit denen man seine Geschichten erzählen kann.

 

Die Schweiz braucht deshalb, mehr als die meisten anderen Länder der Welt, das Ausland. Auch wir Kulturschaffende brauchen es, um gegen die Kleinheit, Enge, Themenerschöpfung, mangelndes Selbstwertgefühl etc. anzukämpfen und diese zu überwinden.

 

Max Frisch, unser Lehrmeister und Erzieher, hat das in seinem ersten, unvergesslichen Tagebuch so ausgedrückt: „Unsere Sehnsucht nach Welt, unser Verlangen nach den grossen und flachen Horizonten, unser Heimweh nach der Fremde.“

 

Ich habe diese Website wie gesagt hauptsächlich zur Information gemacht, darüber wer ich bin und woher ich komme, worum es mir geht, was mein Denken bestimmt, und wie es um meine sogenannten „politischen“ Filme jeweils noch so zu- und hergegangen ist.

 

Dazu noch Folgendes: Einmal, an einer Schweizer Filmwoche in Argentinien, sahen die Zuschauer unter anderen auch meinen Film „Dani, Michi, Renato & Max“. Das war kurz nach der Diktatur der Militärs, während der ca. 30’000 politische Militante ermordet worden waren. Einige der Zuschauer fanden es merkwürdig, geradezu eine Übertreibung, ja, irgendwie lächerlich, dass da einer aus der übersättigten, reichen Schweiz einen politischen Film zeigt, in dem es um bloss vier Tote geht, die im Zusammenprall mit Polizisten ihr Leben verloren haben. Als sie aber erfuhren, dass der Bund und das öffentlich-rechtliche Fernsehen den Film mitfinanziert hatten, bekamen sie eine Art Hochachtung für die Schweiz und sagten sich: „Das möchten wir bei uns auch haben, dass wir Filme machen könnten über die letzten Jahre, über unser Leiden, unsere Ermordeten, und dass man dafür nicht ins Gefängnis gesteckt würde, sondern dass der Staat und das Fernsehen diese sogar finanzieren und zeigen würden.“

 

So wurde ein Film, der bei uns in gewissen Kreisen als „Nestbeschmutzung“ empfunden wurde, in Buenos Aires zu einem „Propagandafilm“ für die liberale und demokratische Schweiz.

 

Eine junge Amerikanerin, die einige Jahre in der Schweiz studiert hatte, schrieb mir eines Tages, nachdem sie meinen Spanienkämpfer-Film gesehen hatte, sie sei froh, dass sie diesen Film gesehen habe. Sie sei sehr enttäuscht über die Schweiz gewesen, dieser Film habe ihr gezeigt, dass es auch noch andere Schweizer und Schweizerinnen gebe als diejenigen, mit denen sie es zu tun gehabt habe.

 

Und dies ist es auch, was der Schweizer Film immer wieder geleistet hat, nämlich die „andere“ Schweiz zu zeigen, oftmals die versteckte, herabgewürdigte, sprachlose Schweiz. Wir haben ihr eine Stimme gegeben und sie ihre verlorene Würde zurückerobern lassen. Wir haben sie in unsere Geschichte eingeführt und dadurch immer wieder auch gewissermassen „rehabilitiert“.

 

Kaum ein historisches Ereignis und kaum eine bekannte oder unbekannte Persönlichkeit der alten oder neuen Schweizer Geschichte oder Kultur, ob eine öffentliche oder private Figur, die nicht in einem Schweizer Film entdeckt, gewürdigt und geehrt worden wäre.

 

Einmal, wieder an einem Filmfestival in Buenos Aires, hörte ich während einer grossen Debatte über den Zustand und die Zukunft des Dokumentarfilmes eine Französin aus Paris fragen, warum eigentlich der Schweizer Dokumentarfilm der beste sei auf der Welt. Ich war erstaunt, dies zu hören und fragte mich, ob das vielleicht sogar eventuell stimme. Ich habe diesen Satz nie mehr vergessen und oft darüber nachgedacht.

 

Jedenfalls kann man ohne Übertreibung und ohne Hochmut sagen, dass es wahrscheinlich kein Land auf der Welt gibt, wo so viele grossartige und aussergewöhnliche Dokumentarfilme gemacht wurden und immer wieder gemacht werden wie in der Schweiz, und dass der Schweizer Dokumentarfilm ganz bestimmt eine der wesentlichen „Schulen“ in der Geschichte des modernen Filmes ist. Und darauf könnte man eigentlich auch ein wenig stolz sein, nicht unbedingt wir Filmschaffenden selber, aber die andern, das Volk, das Land, die Politik, wer auch immer. Wir sind nicht in vielen Dingen „die Besten auf der Welt“.

 

Dabei meine ich natürlich nicht, dass es nicht auch viele sehr gute und wertvolle Schweizer Spielfilme gibt. Ich sage nur, dass der Dokumentarfilm quasi unsere „Spezialität“ ist, etwas das uns besonders liegt. Und dann ist es natürlich auch viel leichter, Dokumentarfilme zu machen als Spielfilme, weil im Dokumentarfilm alles immer schon da ist, man muss die Realität nicht erfinden, man muss sie nur „lesen“, verstehen und in einen Film übersetzen.

 

Hier also die Website eines Schweizer Filmemachers, der sein Leben seit 50 Jahren zwischen Paris und Zürich verbringt und der als Mitglied der ersten Generation des Neuen Schweizer Films seinen Beitrag zu dieser Geschichte geleistet hat und noch einige Jahre leisten wird, wenn man ihm die „Legitimation“ dazu lässt, wofür er wie immer unermüdlich und kompromisslos kämpfen wird.

 

Dank an meine Schwester Jeannette Dindo für ihr Lektorat und ihre lebenslängliche Hilfe und Solidarität in allen Dingen.

 

Webseite und Lektorat: Lara Hacisalihzade

ab "Die Reise des Bashô": Jeannette Dindo

 

 

 

Vorwort

 

 

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