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Homo Faber (drei Frauen) (2014)

 

 

Die Texte aus dem Roman sind von Christian Kohlund gelesen

Mit Marthe Keller („Hanna“), Daphné Baiwir („Sabeth“), Amanda Barron („Ivy“)

 

Kamera: Richard Dindo

Regie- und Kamera-Assistent: Sebastian Cruz

Produktionsleiter: Leonidas Liambeys, Athen (Anemon Productions) / Jobst Grapow, Rom / Guillaume Poux, Avignon / Marina del Mar, Almeria / Elizabeth Schoettle, New York

Schnitt: Charlotte Tourres, Paris / René Zumbühl, Zürich

Musik: „In Memoriam Aeternam“ von Roberto Allegro, herausgegeben von Thibaut de Wurstemberger (W Records); Lied von Angélique Ionatos „Opus se mi Agriotita ieri“, CD „Sappho de Mytilène“, Ed. Deluxe chez „Naïve“, Paris

Weitere Musik: Parigo (Paris)

Mischung: Martin Stricker, Genf

Produktion: Lea Produktion, Zürich

Finanzierung: EDI (Sektion Film) / Schweizer Fernsehen (Zürich) / Suissimage / Succès Passage Antenne / UBS Kulturstiftung / Ernst Göhner-Stiftung

Uraufführung: Festival Locarno

 

Filmplakat: Helen Pinkus-Rymann

89 min, Farbe

Eine dokumentarische und gleichzeitig fiktionalisierte Verfilmung und Lektüre des berühmten Romans von Max Frisch. Drei Schauspielerinnen, die die drei Fraugenfiguren des Buches repräsentieren, werden in den Landschaften und Örtlichkeiten des Romans gefilmt.

 

Walter Faber, die Hauptperson des Buches, kommt in den Bildern selber nicht vor. Er ist derjenige, der die drei Frauen filmt. Später werden seine Bilder mit Sätzen aus dem Buch im Off nacherzählt, wie wenn Faber selber seine eigenen Bilder kommentieren und erklären würde. Die Schauspielerinnen verhalten sich in Bezug auf ihn und wissen, dass sie gefilmt werden. Sie schauen deshalb auch immer wieder in die Kamera, d.h. auf Faber, mit dem sie via ihre Blicke kommunizieren.

 

Der Film ist stumm, d.h. es hat keine Geräusche, man hört nur die Stimme des Kommentators und Musik. Es handelt sich hier um eine ziemlich radikale und rein poetische Sache, die ins Zentrum und auf den Höhepunkt dessen zugeht, was ich unter „Aufhebung und Überwindung des Dokumentarfilmes“ verstehe, dort wo dieser sich der objektiven Unmöglichkeit gegenüber sieht, die Realität, die er vorfindet, einfach abzufilmen.

 

Dann auch das Vergnügen und die Freude, immer mehr mit Schauspielern zu arbeiten, wobei es sich dabei nicht einfach um „spielen“ handelt, sondern vielmehr noch, sie „an der Arbeit“ zu zeigen, im Sinne wie es der Filmemacher Jean Renoir einmal definiert hat, nämlich, dass ein Spielfilm immer auch ein Dokumentarfilm über Schauspieler sei.

 

Und dies ist ziemlich genau worum es bei dieser Verfilmung des Homo-Faber-Romans in letzter Instanz geht, was die praktische Seite der Dinge betrifft: nämlich um einen Dokumentarfilm über Schauspielerinnen.

 

Zur Finanzierung:

 

Man könnte meinen, dass die Finanzierung der Verfilmung eines der meistgelesenen Romane der deutschsprachigen Literatur, der in 43 Sprachen übersetzt wurde, geschrieben von einem weltberühmten, in Zürich geborenen Schweizer Schriftsteller, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, ja geradezu eine Ehrensache hätte sein sollen. So hat mir das Deutschschweizer Fernsehen geschrieben: „Wir können dieses Projekt schon aus rein kulturpolitischen Gründen nicht ablehnen, ganz abgesehen davon, dass uns auch das Exposé gefällt.“

 

Der Direktor des Fernsehsenders 3sat Schweiz hingegen fand, dass Max Frisch und „Homo faber“ absolut niemanden interessieren. Auch mein Hinweis darauf, dass dieses Buch an den Schweizer und deutschen Schulen seit vielen Jahren gelesen und besprochen werde, hat ihn nicht umstimmen können. Er wollte nicht einmal das Exposé lesen.

 

Die Kommissionsmitglieder der Zürcher Filmstiftung, Abteilung Dokumentarfilm, hatten schon Mühe mit dem Projekt als solchem, weil sie sich nicht recht entschliessen konnten, ob es sich hier um einen Dokumentar- oder eventuell doch eher um einen Spielfilm handeln könnte. Und da die Mischform, das „Dazwischen“, das „Sowohl-Als-Auch“, die Fikionalisierung des Dokumentarfilms etc. im Reglement dummerweise nicht vorgesehen war, haben sie das Projekt sicherheitshalber einfach abgelehnt.

 

Ein Mitglied der Kommission hatte dann noch ein anderes Problem. Er fragte mich an der Sitzung rundheraus: „Richard, wie stellst du dir eigentlich vor, in deinem Alter ein 20-jähriges Mädchen filmen zu können?“  

 

Hier einige Erklärungen zu dieser doch sehr eigentümlichen Frage zu meinem Alter und zum Problem, ob die über 60-Jährigen in der Schweiz noch weiter Filme machen dürfen, wenn sie wollen und sich dazu imstande fühlen:

 

Es gehört zum Privileg der Kulturschaffenden, dass wir nie aufhören, kreativ zu sein, dass man bis ans Ende seines Lebens Bücher schreiben, Bilder malen, Musizieren und Filme machen kann. Die Kulturgeschichte ist voll von Beispielen davon.

Picasso sagte einmal, als er schon fast 90 war, dass er erst daran sei, sich an etwas anzunähern und etwas zu beginnen.

Der Japaner Hokusai, zitiert von Henry Miller, fand, dass er erst ab 60 verstanden habe, was Malerei eigentlich ist.

Ein Biograf von Voltaire schrieb, dass dieser erst ab 65 in den Vollbesitz seines intellektuellen Potentials gekommen sei, und André Malraux fand, dass man erst ab 60 langsam anfange, ein Mensch zu werden.

In der Schweiz haben wir das Beispiel des über 90-jährigen Malers und Bildhauers Gottfried Honegger, der immer noch jeden Tag mit unermüdlicher Lust und Freude an die Arbeit geht.

 

Auch im Film gibt es eine ganze Anzahl von Regisseuren und Regisseurinnen, die zwischen 70 und 104 Jahren (der Portugiese de Oliveira) noch wunderbare Filme gemacht haben, noch immer machen und machen werden. Ich denke dabei, unter vielen anderen, an Joris Ivens, einer der grössten Dokumentaristen des 20. Jahrhunderts, der mit 94 in China, zusammen mit seiner Frau Marceline Loridan, „Die Geschichte des Windes“ drehte, in meinen Augen seinen mit Abstand schönsten Film.

 

Der englische Maler Whistler  wurde einmal von einem Besucher gefragt, wie lange er an seinem Gemälde „Nocturnes“ gemalt habe. Whistler antwortete: „Mein ganzes Leben“.

 

Und darum geht es ja auch in letzter Instanz bei uns Kulturschaffenden, ein Leben lang unaufhörlich und unermüdlich an einem Werk zu arbeiten, und dabei geschieht es manchmal, dass man von einem bestimmten, nicht voraussehbaren Moment an, in die Phase einer geradezu traumwandlerischen Sicherheit kommt, wo man sich sehr stark fühlt und wo man die definitive Gewissheit bekommt, dass man daran ist, sein Lebenswerk zu vollenden, was einem in gewissen Augenblicken mit einer Art Genugtuung erfüllt, diese Selbstsicherheit und Gewissheit, das richtige Leben geführt und sein Schicksal so gut wie möglich erfüllt zu haben.

 

Ich rede hier natürlich nicht gegen die Jugend, sondern für das Alter. Fast alle grossen Künstler haben schon sehr jung, gleich von Beginn an wesentliche Kunstwerke geschaffen. Fast alles im Leben ist von Anfang an da und hat schon in der Kindheit begonnen, wie Sartre in seiner eindrücklichen Biografie von Flaubert aufgezeigt hat.

 

Ich ging von Anfang an davon aus, dass es zur Herstellung eines Lebenswerkes eine Strategie braucht, d.h. dass man den ganzen Weg von Anfang an im Auge haben und dann, taktisch gesehen, Schritt für Schritt vorwärts gehen muss.

 

Dabei geht es darum, eine „Ökonomie des Traumes“ auf die Beine zu stellen, die uns erlaubt, unsere Träume auch zu verwirklichen.

 

Dies impliziert natürlich konkrete, praktische, machbare Träume, deren Realisierung unseren psychischen, physischen und intellektuellen Möglichkeiten entspricht, und dass man nicht irgendwelchen Hirngespinsten und Phantomen nachrennt und dabei seine Kräfte überschätzt, was vielleicht das Schlimmste ist, was einem im Leben geschehen kann.

 

Ich rede hier von der Notwendigkeit der Kulturschaffenden, ein Lebenswerk auf die Beine zu stellen und frage mich, ob das heutzutage, beim Film zum Beispiel, überhaupt noch möglich ist. Ob das „System“ das noch erlaubt oder ob meine Generation nicht etwa die letzte gewesen ist, die diese Freiheit hatte, für die wir ja auch gekämpft haben.

 

Ich selber beziehe meine Lebenskraft, meine Lebensfreude und meinen unzerstörbaren Optimismus aus dem Projekt, aus der ständigen, unaufhörlichen Träumerei über zukünftige Filme, an die ich in gewissen Fällen während 30, 40 Jahren dachte und vorausplante.

 

Das Projekt ist der Motor meiner Existenz und macht das Älterwerden irgendwie einfacher, angenehmer, akzeptabler, weniger schlimm, etc. Ohne Projekt ist man nämlich einfach tot. Dies gilt übrigens für jeden Menschen, nicht nur für Kulturschaffende. Man darf nie aufhören, Projekte zu haben.

 

Eine Videokamera in die Hand nehmen und einen Baum, einen Himmel oder eben ein 20-jähriges Mädchen zu filmen, das kann auch noch ein 120-Jähriger. Man muss nämlich nur auf einen kleinen, roten Knopf drücken, der sich meistens irgendwo auf der rechten Seite der Kamera befindet. Das ist viel leichter, als zum Beispiel einen Roman zu schreiben oder ein Gemälde zu malen.

 

Und das alles sollten Leute, die in Filmkommissionen sitzen und „Experten“ genannt werden, eigentlich auch wissen.

Der 70-jährige Auguste Renoir und sein 20-jähriges Modell.

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